Warum der Rebschnitt die Grundlage für Weinqualität ist

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Der Rebschnitt ist einer der wichtigsten Schritte im Weinbau, da er die Grundlage für gesundes Wachstum und die Qualität der Trauben legt. Mit der richtigen Methode können die Pflanzen so über 50 Jahre alt werden, ohne an Kraft zu verlieren.

Normalerweise erreicht ein Rebstock mit etwa sieben Jahren seinen vollen Ertrag. Von diesem Zeitpunkt an ist die Schnitttechnik für den Rest seines Lebens im Regelfall gleich. Bis dahin wird die Struktur der Rebe sorgfältig aufgebaut, indem man ein Gleichgewicht zwischen dem Rebstock- und dem Wurzelwachstum herstellt.

Traditionell beginnt der Rebschnitt auf der Nordhalbkugel im Januar oder Februar. Größere Betriebe starten auch schon im November des Vorjahres, je nachdem, wie viele Ressourcen für den Rebschnitt zur Verfügung stehen.
Mit dem Start im Januar hat die Rebe nach der Lese genügend Zeit, den Saftfluss zurückzufahren und in den Winterschlaf zu gehen. Dabei werden Stärke und Zucker von den Trieben in den Stamm und das Wurzelsystem zurückgeführt, ein wesentlicher Schritt für die Erholung und Gesundheit der Rebe.

Ein früherer Schnitt kann auch einen frühen Austrieb fördern. Dieses erste Wachstum (meist im April) ist sehr anfällig für Frostschäden. Daher ist es von Bedeutung, den Schnitt sorgfältig planen, um die Reben zu schützen. Manche Reben treiben früher aus als andere. Insbesondere mit den klimatischen Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, ist die Häufigkeit für Spätfrost und Hagel im April und Mai extrem gestiegen und eine echte Gefahr, nicht nur für den Weinbau. Besonders die traditionsreichen Regionen wie Chablis oder die Champagne sind in den letzten Jahren häufig deswegen in der Presse zu finden. Auch Franken oder die Weinregionen in Südengland haben mit diesen Herausforderungen zu kämpfen. Deswegen ist das Timing sehr wichtig.

Die Kellerkünstler im Carnuntum haben selten mit diesem Phänomen zu tun. Ihr Betrieb verwaltet etwa 3.1 ha und ca. 11.000 Rebstöcke. Sie arbeiten mit dem Sanften Rebschnitt nach Simonit & Sirch, welcher im Idealfall nur zwei Schnitte pro Pflanze im jungen Holz benötigt und so die Wunden für die Rebe sehr klein ausfallen. Dies mindert auch die Anfälligkeit für Pilzkrankheiten wie ESCA. Für einen Rebstock brauchen die Profis etwa ein bis zwei Minuten, der gesamte Prozess je nach Planung und Wetter etwa sechs Wochen.

Der Rebschnitt ist nur der erste, wichtige Schritt im Weinberg. Es folgen noch viele weitere. Seit ihrer Gründung im Jahr 2019 haben Marcus und Michi so insgesamt fast 6000 Stunden im Weinberg verbracht. Die besten Winzer:innen erkennst du oft daran, dass sie den Fokus auf bewusster, nachhaltiger Arbeit im Weinberg haben. Je nach Beschaffenheit des Weinbergs können das auch mal 1000 h pro Jahr und Hektar sein, die das Schaffen von hoher Qualität benötigt, vor allem, wenn eine maschinelle Unterstützung (auf Terrassen oder an Steilhängen) nicht möglich ist.

Zum Vergleich: ein Bürojob mit 40h pro Woche hat etwa 2000h pro Jahr (inkl. Urlaubstage) und entspricht somit etwa der Arbeitsleistung einer Person im Weinberg auf 2 Hektar! Irre, oder? Das schöne daran: du bist die ganze Zeit in der Natur und an der frischen Luft. Harte Arbeit in einem entschleunigenden Umfeld.

Wenn du mit dem Gedanken spielst, Winzer:in zu werden, hör dir doch mal unser Interview mit Jungwinzerin Luisa-Sophia Sedlmayr an. Die Reben warten!

Tommy Neumeister in Franken kommt aus einer Winzerfamilie. Bereits sein Großvater Oswald bewirtschaftete Weinberge in Franken. Hier ist die Angst vor Spätfrost und Hagel wesentlich präsenter, in den letzten zehn Jahren gab es mindestens vier Jahre, in denen größere Schäden zu verzeichnen waren. Tommy verwendet daher eine spezielle Schnittmethode, bei der eine sogenannte Frostrute an der Rebe verbleibt. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass alle Triebe eines Rebstocks erfrieren, etwas verringert.

Tommy startet meist im Januar und benötigt pro Rebstock etwa drei Minuten. Da er den Rebschnitt größtenteils allein erbringt, braucht er etwa 8–10 Wochen dafür. Glücklicherweise sind die Weinberge in seiner Region gut zugänglich, sodass er pro Hektar „nur” etwa 400 Stunden Arbeit pro Jahr investiert. Sein Fokus liegt auf biologisch nachhaltiger Bewirtschaftung. Er hat im Vergleich zur Philosophie seines Großvaters aus den 1970er Jahren den Ertrag pro Rebstock um etwa 50 % vermindert. Das hebt zum einen die Qualität der Trauben und damit auch der resultierenden Weine. Zum anderen entlastet es die Pflanzen — weniger Triebe bedeutet weniger Trauben und somit weniger Stress.

Sowohl Tommy als auch die beiden Kellerkünstler schneiden alle Reben von Hand. Winzer Michael Bayer vom Bayer-Erbhof aus dem Burgenland bewirtschaftet mit seiner Familie ca. 22 Hektar Reben. Rebschnitt ohne elektrische Unterstützung ist hier undenkbar. 99 % aller Reben werden mit der elektrischen Rebschere geschnitten. Da die gesamte Familie mit anpackt und auch Weinbergshelfer:innen zur Verfügung stehen, schaffen auch sie den gesamten Prozess in etwa sechs bis acht Wochen.

Was passiert, wenn eine Rebe nicht geschnitten wird?

Eine nicht beschnittene Rebe erzeugt eine größere Ernte von geringerer Qualität. Unabhängig von ihrem Wachstum verfügt eine Rebe immer noch über die gleichen Ressourcen aus dem Wurzelsystem. Ohne Schnitt wird sie bis ins nächste Jahr hinein geschwächt sein. Übermäßiges Wachstum mit großen Blättern kann die Früchte beschatten, die Reifung verhindern und sogar Krankheiten wie Mehltau fördern. Es kann mehrere Jahrgänge dauern, bis sich eine Rebe von einem schlechten oder unzureichenden Schnitt vollständig erholt hat.

Ursprünglich veröffentlicht auf https://weintertainment.com am 2. Mai 2023.

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Alex Gottschalk - The Pinot & Pixel Blog
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