Terroir-Terroir im Storytelling -warum du Gestein nicht schmecken kannst

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Vermutlich haben alle beherzten WeintrinkerInnen schon einmal Kontakt mit ihnen gehabt: Stories zum Einfluss des Gesteins auf den Geschmack des Weines. WinzerInnen erzählen sie bei Verkostungen und Interviews. WeinexpertInnen nutzen sie für ausschweifende und fesselnde Geschmacksbeschreibungen. Im Marketing werden sie angewandt, um uns romantisch zu umgarnen und dazu zu bewegen, mehr Geld für Wein auszugeben.

Und was soll ich sagen: es funktioniert! Die Vorstellung, dass ein Kreideboden für die Cremigkeit von Champagner verantwortlich ist, fesselt. Gleiches gilt für die Rauchigkeit in Pouilly-Fumé durch prähistorischen Feuerstein oder rassige Mineralität von Nerello Mascalese oder Carricante, hervorgerufen durch die vulkanischen Böden Siziliens. Und was ist nun dran? Die Weinwelt gibt unzählige Beispiele, wo bestimmte Regionen aufgrund ihrer Böden eine ganz eigene, für KennerInnen durchaus wiedererkennbare Typizität hervorbringen.

Professor Alex Maltman ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Geologie und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Einfluss von Gesteinen auf den Geschmack von Wein. Eine Vorlesung und ein paar Mails später hat er mich überzeugt: der Boden spielt für das Wachstum und die Entwicklung der Rebe sehr wohl eine Rolle. Das Gestein im Boden kann allerdings keinen Geschmack „in“ die Traube bzw. den Wein bringen. Die Antwort klingt einfach, die Erklärung ist sehr komplex.

Ausgehend von unzähligen Büchern, Studien, Veröffentlichungen und natürlich auch persönlichen Erfahrungen meinerseits scheint er hier in Widerspruch mit dem allgemeinen Wissensstand der Weinwelt zu stehen. Keinesfalls! Wissenschaft arbeitet mit vorlegbaren Beweisen und ist stets offen für Fragen. Erbracht ist der Beweis, wie Reben mit dem Boden arbeiten, was sie entziehen und abgeben. Klima, Mikrobiologie des Bodens, Weinbau und Weinbereitung sind die beeinflussenden Faktoren für den Geschmack. Das Gestein sichert Nährstoff- und Wasserverfügbarkeit. Sicher ist, dass Gestein geschmacklos ist. Auch ich habe als Kind den einen oder anderen Brocken abgeleckt und war felsenfest überzeugt, dass manche eben anders riechen und schmecken. Die Wissenschaft zeigt, dass der wahrgenommene Unterschied auf mikrobiologischen Faktoren auf deren Oberfläche basiert. Streng genommen habe ich also Bakterien geleckt. Ein schönes Experiment ist laut Alex, verschiedene Gesteine frisch aufzuschneiden und sie direkt „zu verkosten“. Dieser frische Schnitt ist frei von organischen Substanzen und bringt als Ergebnis identische Ergebnisse: es schmeckt nach nichts.

Wie erklärt es sich nun, dass Regionen mit bestimmten Gesteinen typische Stile hervorbringen, die vom Menschen und auch vom Marketing durchaus logisch in direkte Verbindung damit gesetzt werden? Der wissenschaftliche Fakt, dass Gestein geschmacklos ist, heißt nicht, dass Gestein und der aufliegende Boden keinen Einfluss auf den Geschmack der Trauben haben. Gestein kann je nach Dichte und Beschaffenheit Wasser speichern, als Sperre fungieren oder es einfach nur abfließen lassen. Es ist also zum einen dafür verantwortlich, wieviel Wasser in Boden und Gestein gespeichert werden kann und hilft in trockenen Zeiten gut über die Runden. Zum anderen kann in regenreichen Gebieten der Boden förmlich ausgewaschen werden, wenn das Gestein dies nicht verhindert. Beides beeinflusst Wachstum und Geschmacksentwicklung der Trauben.

Forschungsergebnisse zeigen, dass geschulte Verkoster durchaus Unterschiede von identischen Rebsorten auf unterschiedlichen Gesteinen ausmachen können und, dass sich Säure- und Aromenwahrnehmung ändern. Es existiert kein Beweis, dass dies allein auf das Gestein zurückzuführen ist. Logischer ist, dass Klima und Mikrobiologie des Bodens eine Rolle spielen, da sich die Eigenschaften des gleichen Weines in unterschiedlichen Jahrgängen verändern, das Gestein natürlich das gleiche bleibt.

Was bedeutet das nun für uns im Weinmarketing? Es ist eine echte Herausforderung, mehr mit Themen wie Klima und Mikrobiologie oder Weinbau ins Rennen um die Gunst der KundInnen zu gehen, als sich der profanen Romantik von Gestein zu bedienen. Sie sind daran gewöhnt und ein Umstieg ist weder leicht noch sinnvoll, da dies schnell zum Verlust von treuen Weinseelen führen kann. Vielmehr sollten wir lernen, die Romantik in die anderen, tatsächlich beeinflussenden Bereiche wie Mikrobiologie, Weinbau oder Klima zu bringen. Man könnte Interviews mit WinzerInnen führen, deren Vermarktung stark auf Terroir ausgelegt ist und herausfinden, wie sie Kommunikation und Marketing aufgrund des Wissens der Wissenschaft ändern und was sie aus Kundensicht als sinnvoll erachten.
Denkbar wäre auch ein Experiment, bei dem WeinkundInnen (unbewusst) die gleichen Weine probieren, nachdem ihnen unterschiedliche Geschichten dazu erzählt wurden und den Erfolg der Stories anhand ihrer Kaufbereitschaft und dem damit verbundenen Preis zu messen.

Louis de Funès hat in seinem Meisterwerk „Brust oder Keule” bereits einen Wein beschrieben, der „am Südhang wuchs und um Morgengrauen gepflückt wurde”. Aktuell lässt sich ein Wein, dessen feine Mineralik und komplexe Aromenwelt, die durch die schwarzen Vulkanböden Siziliens hervorgerufen wurde, eben immer noch besser an die KundInnen bringen, als ein im Holzfass ausgebauter Carricante, der in Guyot und ohne Fungizideinsatz bewirtschaftet wurde. Obwohl die Rebe schon viele schöne Sonnenuntergänge miterlebt hat.

Ursprünglich veröffentlicht auf https://weintertainment.com am 15. Juni 2020.

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Alex Gottschalk - The Pinot & Pixel Blog
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